Extrusion 4-2025
einen analytischen Ansatz zur Modellierung des Wandglei- tens, welcher eine Druckabhängigkeit der kritischen Schub- spannung impliziert, ab welcher Wandgleiten auftritt. Das Modell beruht auf dem Auftreten von Coulomb´scher Rei- bung zwischen der Schmelze und der Kapillarwand. Analog zum Gleiten bei Festkörpern ist die Wandgleitgeschwin- digkeit, neben den Prozess- und Geometriegrößen, durch einen Reibungskoeffizienten definiert und zudem vom lo- kalen Druck abhängig. Für Kautschukmischungen haben auch Jepsen und Räbiger [JR88] sowie Schramm [Schr03] die Druckabhängigkeit des Wandgleitens gezeigt. Am Beispiel des von Uhland [Uhl76] veröffentlichten Druckverlaufs ent- lang einer Kapillare lassen sich zwei grundsätzlich unter- schiedliche Strömungsbereiche ausmachen. Im Einströmungsbereich liegt Wandhaftung vor. Es herrscht reines Scherfließen. Die Wandschubspannung ist entlang der Düse konstant. Ab einer bestimmten, meist unbe- kannten Position beginnt die Schmelze an der Wand zu gleiten. Das führt zu einer abfallenden Wandschubspan- nung und einem exponentiellen Druckabfall. Durch die fal- lenden Wandschubspannungen sinkt der Anteil des Scherfließens, bis am Düsenaustritt nahezu vollständiges Blockfließen vorliegt. Das Wandgleiten setzt ein, sobald eine kritische Wandschubspannung , überschritten wird ( Gl. 1 ). , = − ⋅ Gl. 1 Der Haftreibungskoeffizient ist stets größer als der Glei- treibungskoeffizient [Uhl76]. Für die Anwendung fehlen die Reibkoeffizienten für die Polymerschmelzen im Kanal. Bisher existiert keine adäquate messtechnische Lösung zur Bestimmung dieser Daten, die vom Polymer und vom Wandmaterial abhängen [Ram86]. Tribologieprüfstände für Kautschuke eignen sich dabei lediglich für die Prüfung von festen Polymeren, allerdings nicht für verarbeitungs- nahe Polymerschmelzen. Auch kann der tatsächlich vor- herrschende Druck von oft über 100 bar mit diesen Systemen nicht abgebildet werden. [NN25] Der Wandgleiteffekt hat Einfluss auf reine Druckströmun- gen, wie sie in Extrusionswerkzeugen und Rheometerdü- sen vorliegen, sowie auf das Druck-Durchsatzverhalten bei kombinierter Druck- und Schlepp- strömung in Extruderschnecken. So kann das Druckaufbauvermögen von Extrudern bei Wandgleiten deutlich geringer ausfallen [Men80, Men84, MS82, PR02, Sch95, WP77]. Wird fälschlicherweise Wandhaftung ange- nommen, entsteht ein Fehler bei der Berechnung der wahren Scherrate, da die erforderliche Scherrate für die Verarbeitung durch Wandgleiten ge- ringer ist [Smi04]. Auch rheologische Messungen können durch Unter- schätzung der Scherviskosität erheb- lich verfälscht werden. Wandgleiten kann jedoch auch den Vorteil eines geringeren Energieverbrauchs inner- halb der Extrusionsdüse bieten, da der Druckbedarf erheblich geringer Extrusion 4/2025 als bei Wandhaftung ist. In der Kunststoffverarbeitung wer- den daher spezielle Düsenbeschichtungen und Gleitaddi- tive eingesetzt, um Wandgleiten hervorzurufen und den Druckbedarf zu senken sowie Schmelzebrucherscheinun- gen zu unterdrücken [Rah13]. Durch verschiedene Be- schichtungen von Schnecke und Zylinderwand wurde die Dissipation deutlich reduziert [SH15]. Der Stand der Forschung zeigt, dass es einen Zusammen- hang zwischen lokalem Druckniveau im Fließkanal und Wandgleiten gibt. Daher wird davon ausgegangen, dass sich ein Einsetzen von Wandgleiten im Druckverlauf ent- lang der Kapillare deutlich abzeichnen müsste. Entspre- chend wird angestrebt, den vollständigen Druckverlauf entlang der Kapillare eines Rechteck-Kapillarheometers zu erfassen. Die Erfassung des vollständigen Druckverlaufs entlang eines Rechteck-Kapillarrheometers bietet die Möglichkeit, den Übergang zwischen Wandhaftung und Wandgleiten zu erfassen. Hierfür wird eine Seite eines Online-Rheometers durch eine Membran ersetzt, die sich unter Druck verformt und somit eine stufenlose Erfassung zulässt. Vor dem Hin- tergrund des im Stand der Technik beschriebenen, erwar- teten starken Druckabfalls im Rheometer ergibt sich dabei das Problem, dass die Membranverformung durch ihre mechanische Kopplung mit sich selbst geglättet wird. Dies führt zu einer erheblichen Fehlerfortpflanzung, die eine präzise Identifikation des Druckverlaufs und damit des Wandgleitens erschwert. Es wurde deshalb eine Abwand- lung des genannten Membrankonzept erarbeitet. Segmentrheometer Zur Entkopplung der Membran wird diese in einzelne Seg- mente aufgeteilt, die sich unabhängig voneinander unter Druck verformen können. Dadurch werden wieder diskrete Messpunkte erzeugt, dieser Effekt kann aber durch den Einsatz von 20 Segmenten auf 100 mm Fließkanal mini- miert werden. Bild 1 zeigt dabei den Aufbau des segmen- tierten Rheometers in einer Explosionsdarstellung. Die Durchbiegung der Segmente orthogonal zur Membranflä- che wird zur Bestimmung des Drucks erfasst. 27 Bild 2: Querschnitt des Segmentrheometers mit für die Versuche verwendeten Druckmesspositionen Membransegmente Druckmessposition 2 Druckmessposition 1 30 mm Fließrichtung
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